Klimaziele verkünden reicht nicht
Aber mit „wir“ meine ich auch alle, die in und für Unternehmen oder Organisationen arbeiten. Denn für die meisten von uns ist das Privatleben nur ein Teil der Existenz. Von montags bis freitags verbringen wir immerhin mindestens ein Drittel unserer Lebenszeit im Büro, in der Werkstatt, im Labor, kurz: auf der Arbeit. Auch hier verkünden mehr und mehr – meist größere – Unternehmen ambitionierte Ziele der Klimaneutralität. Dabei hört man von vielen spannenden und teils sehr konkreten Maßnahmen. Ebenfalls: so weit, so lobenswert.
Allerdings ist mein Eindruck: Diese Maßnahmen kommen oft aus der Strategie- oder CSR-Abteilung und werden von der Konzernspitze verkündet. Das verleiht den einzelnen Unternehmensbereichen das Gefühl, das „ja schon etwas getan wird“, das Unternehmen „auf dem richtigen Weg ist“. Für einen echten Bewusstseinswandel in Bezug auf CO2-Ausstoß genügt das nicht.
Ein CO2-Budget für Führungskräfte
Wie wäre es, wenn jeder einzelne Bereich eines Unternehmens nicht nur über ein finanzielles Budget, sondern auch über ein CO2-Budget verfügte – nach dem Motto „Der Preis bestimmt das Bewusstsein“? Für alle, die nicht in einem größeren Unternehmen arbeiten, mag das wenig spektakulär erscheinen. Auch mir als Laie in Sachen Unternehmenssteuerung war die Bedeutung des Budgets nicht klar, als ich vor gut sechs Jahren bei TÜV Rheinland gestartet bin. Heute weiß ich: Erst das vorgegebene beziehungsweise mit dem Vorstand ausgehandelte Budget für den eigenen Bereich ermöglicht die Spielräume, mit denen wir beispielsweise die Kommunikationsarbeit für das Unternehmen steuern können. Und bestimmt letztlich wesentlich die Entscheidungen für einzelne Maßnahmen, Investitionen, Projekte.
Wenn Führungskräfte in Unternehmen neben dem Finanzbudget auch ein CO2-Budget bekämen, würden sie häufig anders entscheiden. In einem fiktiven Beispiel bekäme dann ein Bereich ein Budget von beispielsweise 50 Tonnen CO2 für das Gesamtjahr. Doch das bevorstehende internationale Meeting verbraucht wegen der Flugreisen bereits 4 Tonnen pro Mitarbeitendem. Was also tun? Auf jeden Fall würde die verantwortliche Führungskraft viel intensiver darüber nachdenken, ob nicht eine Videokonferenz ausreicht. Voraussetzung, damit diese neue Art der Unternehmenssteuerung funktioniert: Die CO2-Kompensation über Zertifikate wäre verboten, da sonst keine echten Einsparungen direkt im Unternehmen erzielt werden, sondern Bereiche sich quasi „freikaufen“ können.
Wenn die Computerrecherche mehr CO2 verursacht als das Reisen
Ob das wirklich funktionieren kann? Es ist sicherlich eine große Herausforderung, Daten zum CO2-Ausstoß für jeden einzelnen Unternehmensbereich zu ermitteln. Und noch viel schwieriger wird das bei den Lieferanten. Wer kennt schon die CO2-Bilanz seines Dienstleisters? Bei der Ermittlung entsprechender Daten hilft zum Beispiel TÜV Rheinland. So hat TÜV Rheinland-Experte Norbert Heidelmann für den WDR-Reporter Robin Schäfer die CO2-Bilanz ermittelt, die er für seine Recherche für den „Autokorrektur“-Podcast im WDR verbraucht hat. Mit überraschenden Ergebnissen: Am meisten haben seine Computerrecherchen verbraucht, obwohl er – überwiegend mit der Bahn und Elektroautos – 3.500 Kilometer für die Recherchen gereist ist. Grundlage der Berechnung war die Annahme, dass er 50 Gigabyte Daten für die Recherche brauchte – das ergibt 325 Kilogramm CO2 (pro Gigabyte Daten 6,5 Kilogramm).
Die Berechnung ist also möglich. Und schließlich wissen wir immer ganz genau, wie viel Dienstleistungen in Euro oder US-Dollar kosten. Erst, wenn Führungskräfte den CO2-Preis ebenfalls auf der Rechnung sehen und ein CO2-Budget bekommen, werden sie und damit Unternehmen auf der Mikroebene anders entscheiden. Denn wer sein Budget nicht einhält, verliert die Spielräume zur Entscheidung. Was könnte schmerzhafter für Entscheiderinnen und Entscheider sein?
Autor des Beitrags

Alexander Schneider
Unternehmenskommunikation
Meist gelesene Beiträge
Elektromobilität – Ladeinfrastruktur auf dem Vormarsch
Sexy Titel, keine Bewerber? Stellenanzeigen auf dem Prüfstand
Kommentare
0 Kommentare